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Die Trommeln des US-chinesischen Cyber-Krieges

NEW HAVEN: FBI-Direktor Christopher Wray hat kürzlich Amerikas Anti-China-Kampagne erneut vorangetrieben. In einer Anhörung vor dem Kongress am 31. Januar warnte er vor verstärkten chinesischen Hacker-Aktivitäten und davor, dass die US-Infrastruktur – Telekommunikation, Verkehr, Energie- und Wasserversorgung – durch die staatlich unterstützte chinesische Hackergruppe Volt Typhoon akut gefährdet sei. Ein Bericht auf der Titelseite der New York Times verstärkte dieses Gefühl von Dringlichkeit.

Ein paar Tage nach Wrays Äußerungen lieferte ein gemeinsamer Bericht von FBI, Cybersecurity & Infrastructure Security Agency (CISA) und National Security Agency (NSA) eine detaillierte Dokumentation der von Volt Typhoon ausgehenden Bedrohung. Ein weiterer Bericht auf der Titelseite der New York Times folgte prompt. Und dann kam am 22. Februar der Ausfall eines wichtigen Mobilfunknetzes. Plötzlich hatten die Cyber-Befürchtungen ein Eigenleben angenommen.

Ignoriert wird bei all der Aufregung eine wichtige Einschränkung in Wrays Warnung. China, so Wray, „treffe Vorbereitungen“ für einen künftigen Konflikt. Das ist nicht dasselbe wie der Truppenaufmarsch des russischen Präsidenten Wladimir Putin an der Grenze zur Ukraine Ende 2021 und Anfang 2022. In Wrays Worten: Man könne einen Angriff von Volt Typhoon auf kritische Infrastruktur der USA erwarten, „falls oder wenn China sich entscheidet, dass die Zeit zum Zuschlagen gekommen ist“ (meine Hervorhebung).

Im Einvernehmen mit CISA und NSA stützt das FBI seine sehr öffentlichen Warnungen allein auf Mutmaßungen über Chinas künftige Absichten und nicht auf konkrete Informationen über einen bevorstehenden Cyber-Angriff. Es liegt mir fern, den Wahrheitsgehalt der Beweise der US-Nachrichtendienste zu Volt Typhoon zu bezweifeln; ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass dies Indizienbeweise sind, die absolut nichts über die Handlungswahrscheinlichkeit aussagen. Für jene von uns, die sich noch an die von den USA zur Rechtfertigung der Invasion im Irak 2003 genutzten düsteren, aber unzutreffenden Warnungen über Saddam Husseins vorgebliche Massenvernichtungswaffen erinnern, ist dies keine geringe Sorge.

Als Verfasser eines kürzlich erschienen Buches über das Potenzial falscher Narrative, einen unbeabsichtigten Konflikt zwischen den USA und China auszulösen, mache ich mir große Sorgen über die übereifrige Betonung von Indizienbeweisen. Ich sorge mich zudem über die Scheinheiligkeit der Behauptungen chinesischer Vorbereitungen für einen Cyber-Angriff. Man erinnere sich an das Jahr 2010, als die USA das Stuxnet-Computervirus gegen die iranischen Nuklearzentrifugen einsetzten.

In ihrem bemerkenswerten Buch The Politics of Language beschreiben David Beaver und Jason Stanley derartige Mutmaßungen als Fälle „präsuppositioneller Resonanz“: unbelegte Projektionen tangentialer (indiziengestützter) Informationen, die genutzt würden, um eine politisch als opportun angesehene Handlungsweise zu rechtfertigen. Die aktuelle politische Agenda der USA gegenüber China ist ein klassisches Beispiel für diese Tendenz.

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Wrays präsuppositionelle Warnungen kommen nicht aus heiterem Himmel; er schürt schon lange chinafeindliche Panik. Als im Sommer 2020 der Präsidentschaftswahlkampf in die heiße Phase eintrat, erging sich Wray gemeinsam mit drei anderen führenden Mitgliedern aus Donald Trumps Regierung (Außenminister Mike Pompeo, Justizminister William Barr und dem Nationalen Sicherheitsberater Robert O’Brien) in einer Abfolge sorgfältig orchestrierter chinafeindlicher Tiraden. Als ehemals führender Mitspieler bei Trumps politischem Theater hält Wray seitdem unerschütterlich an seinen schrillen sinophoben Ansichten fest.

Für die Fixierung des FBI-Direktors auf chinesische Cyber-Bedrohungen gibt es einen unglückseligen historischen Präzedenzfall aus der Zeit des ersten Kalten Krieges. Die gleiche Diskreditierung der „Roten“, die damals auf die Sowjetunion und vorgebliche kommunistische Sympathisanten zielte, richtet sich heute gegen China.

Die von beiden Parteien verfolgte chinafeindliche Kampagne in Washington scheint vollkommen darauf zu zielen, die Chinesen in die Ecke zu drängen. Das ist in den letzten drei Jahren mit der Fortsetzung der von Trump begonnen Handels- und Technologiekriege durch die Biden-Regierung zunehmend deutlich geworden. Die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat den gezielten Druck 2022 mit ihrem Besuch Taiwans, der Salz in eine von Chinas empfindlichsten offenen Wunden schüttete, noch verstärkt.

In ähnlicher Weise hat ein neuer, mit Vertretern beider Parteien besetzter Sonderausschuss des Repräsentantenhauses zu China unter Vorsitz von Mike Gallagher – einem in Kürze ausscheidenden republikanischen Abgeordneten aus Wisconsin – eine Kombination aus sorgsam inszenierten Anhörungen, Drohschreiben an US-Unternehmen und multimedialer Bühnenkunst genutzt, um einen Kreuzzug gegen China zu führen. Es war wenig überraschend, zu sehen, dass der Ausschuss Wray bei seiner Anhörung am 31. Januar mit offenen Armen begrüßte.

Zahllose weitere US-Politiker sind auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Es gibt vermutlich kein einziges US-Kongressmitglied – egal, ob Demokrat oder Republikaner –, das bereit ist, eine prinzipiengeleitete Haltung zugunsten einer amerikanischen Wiederaufnahme des Dialogs mit China einzunehmen. Jeder, der in Versuchung ist, dies zu tun, wird sich Vorwürfen eines an München erinnernden Appeasements ausgesetzt sehen. Obwohl Präsident Joe Biden beim Gipfeltreffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Woodside im letzten November einer Wiederaufnahme des Dialogs nahekam, setzt seine Regierung die Eskalation der Beschränkung des chinesischen Zugriffs auf fortschrittliche Technologien unerschütterlich fort.

Natürlich hat Chinas Verhalten die Lage nicht gerade vereinfacht. Der Vorfall mit dem Spionageballon Anfang letzten Jahres – gar nicht zu reden von seiner „uneingeschränkten“ Partnerschaft mit Russland, das einen barbarischen, ungesetzlichen Angriffskrieg führt – befeuert Amerikas chinafeindliche Politik. Wrays Cyber-Warnungen lassen diese mutmaßlichen Gefahren noch größer erscheinen. Letztlich jedoch könnte diese Kampagne des Drucks gegenüber China nach hinten losgehen. Die zunehmend aggressiven US-Maßnahmen befeuern genau jene Art feindseliger chinesischer Absichten, die paranoide US-Politiker am meisten fürchten. Das gilt in Bezug auf Taiwan und nun auch im Hinblick auf die Cyber-Sicherheit. Amerika muss sehr vorsichtig sein mit dem, was es fordert.

All dies deutet auf ein neues Kapitel im US-chinesischen Konflikt hin – Handels- und Technologiekriege, die nun durch einen Cyber-Krieg verschärft werden. Ungeachtet von Bidens und Xis Dementis weist dieser Konflikt alle Anzeichen eines Kalten Krieges auf. Der ursprüngliche Kalte Krieg kam während der Berlinblockade und der Kubakrise einem heißen Krieg gefährlich nahe. Könnten die Risiken eines Cyber-Krieges dasselbe bewirken? Verfügen wir über die Vertrauenskapazitäten, um diese Risiken abzumildern? Wrays Panikmache bietet besorgniserregende Antworten auf diese Fragen. Der anschwellende Trommelwirbel eines US-chinesischen Cyber-Krieges birgt eine große Gefahr.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

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